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taz-Chefredakteurin Barbara Junge: „Objektivität ist ein Phantom“

taz-Chefredakteurin Barbara Junge: „Objektivität ist ein Phantom“ Barbara Junge (Foto: Oberauer/STAGEVIEW - Pedro Becerra)

Wie viel Meinung darf Journalismus? Wo liegen die Grenzen von Journalismus und Aktivismus? Auf dem Podium des „Medien Camps“ streiten sich darüber eine Journalistin und ein Konzernsprecher.

Berlin (KNA) – Der Pressesprecher des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer hat der taz eine politische Agenda vorgeworfen. Seit acht Jahren habe er keinen aufrichtigen Austausch mit dem Medium gehabt, kritisierte Christian Maertin am Freitag beim „Medien Camp“ des Medienfachverlages Oberauer. „Weil immer klar war: Ich habe jetzt eine Agenda, ich hab ein Thema, ich will eigentlich nur einen Kommentar oder Halbsatz von euch haben.“ Maertin äußerte sich auf einem Podium zu der Frage „Wie viel persönliche Agenda erlaubt journalistische Arbeit?“ vor Nachwuchsjournalisten.

 

Mit Agenda meine er einen Aktivismus zugunsten etwa von Umwelt- oder das Klimaschutz, sagte der ausgebildete ehemalige Wirtschaftsjournalist. Grundsätzlich habe er nichts gegen ein entsprechendes Engagement, betonte Maertin. „Meine Erwartung an Journalismus ist, dass er objektiv ist. Objektiv heißt, das gleiche ehrliche und aufrichtige Interesse an den Positionen aller zu haben, die Gegenstand einer Recherche sind.“ Sonst seien keine aufrichtigen Diskussionen mehr möglich. Journalismus, der klar für etwas stehe, gewinne auf der einen Seite Leute, auf der anderen Seite verliere er „unglaublich viele“; etwa diejenigen, die auf „Mainstream-Medien“ schimpften und sie als Kampagne und Meinung bezeichneten.

 

taz-Chefredakteurin Barbara Junge wies den Vorwurf zurück, ihr Medium frage nicht aufrichtig. Doch die taz wolle nicht ausgewogen über Klimapolitik berichten, „sondern hingucken: Wo wird sie eben nicht gemacht“, so Junge. Dass die Erde nicht verbrennen solle, sei in ihren Augen keine Agenda, sondern Haltung. Den Einsatz für Gleichberechtigung, Klimaschutz und Antifaschismus sehe sie grundgesetzlich abgesichert. Die taz habe sich allerdings verändert und lege inzwischen einen Schwerpunkt auf lösungsorientierten Journalismus. „Lösungen gibt es nur gemeinsam, entsprechend fragen wir selbstverständlich unterschiedliche Positionen ab.“

 

„Wir rennen seit Jahren dem Phantom der Objektivität hinterher, das würde ich gern sein lassen“, so Junge. Heutzutage halte sie es für wichtiger, Nachrichten überhaupt „an die Leute“ zu bringen. Sie wolle nicht mit einer Agenda herumlaufen und keine Aktivistin sein. „Aber ich will auch Menschen erreichen und ich glaube, dass man Menschen heutzutage stärker erreicht, wenn man es auch emotionalisiert.“ Junge äußerte die Befürchtung, Objektivität nehme den Medien „ohnehin niemand mehr ab“, egal ob Mainstream oder nicht. Sie plädierte statt dem „alten Rezept“ dafür, authentisch die eigene Haltung deutlich zu machen und in der eigenen Redaktion auf ein Spektrum an Haltungen zu achten und diese zuzulassen.