Inmitten der Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks brennt es vor allem beim RBB an allen Ecken und Enden lichterloh. Die Sitzung des Rundfunkrats in der vergangenen Woche zeigte, wie schwer der Weg wird, der vor dem Sender liegt.
Berlin (KNA) – Wenn es in der Weltpolitik wieder einmal drunter und drüber geht, es an allen Ecken und Enden knirscht und die Verantwortlichen gar nicht wissen, welche losen Fäden sie zuerst wieder aufwickeln sollen, dann spricht man von einer Polykrise. Der Begriff kam Beobachtern unweigerlich in den Sinn, die am Freitagabend die Rundfunkratssitzung beim RBB verfolgen konnten. Sparmaßnahmen und Personalentscheidungen, journalistische Fehlleistungen und Skandale, Unklarheiten bei Zukunftsvisionen, Rechtsauffassungen hier und Rechtsauffassungen dort: Schon die Tagesordnung roch nach Streit.
Und den gab es dann auch. Denn gleich zu Beginn musste Intendantin Ulrike Demmer eine kleine Bombe zwischen die Tische und Stühle im Haus des Rundfunks in der Berliner Masurenallee werfen: Die Rechtsaufsicht des RBB, für die die Staatskanzleien von Berlin und Brandenburg verantwortlich zeichnen, wirft dem RBB vor, dass die Personalentscheidungen der vergangenen Wochen nicht mit dem Staatsvertrag vereinbar seien. Das Problem: Nach seinem Rücktritt wegen der Gelbhaar-Affäre bekam der ehemalige Chefredakteur David Biesinger hausintern einen neuen Posten zugeschustert. Damit wollte die Intendanz teure Rechtsstreitigkeiten mit der Führungskraft vermeiden. Doch die Staatskanzleien zweifeln die Regelung an. „Wir teilen diese Rechtsauffassung nicht“, sagte Ulrike Demmer den versammelten Rundfunkräten. Ausgang offen.
Doch damit war erst der Startschuss für eine intensive Sitzung gefallen. Denn neben den personellen Konsequenzen aus der Gelbhaar-Affäre wollte sich der Rat auch mit den redaktionellen Folgen des Skandals beschäftigen. In der vergangenen Woche hatte der RBB eine Kurzversion der externen Aufarbeitung veröffentlicht. Die Rundfunkräte hatten die Möglichkeit, den Bericht in voller Länge zu lesen, was der Öffentlichkeit wegen Daten- und Persönlichkeitsschutz der beteiligten Akteure verwehrt geblieben war. Bis auf die Namen habe die bereits in der Woche zuvor veröffentlichte sechsseitige Zusammenfassung den rund 100 Seiten langen Bericht aber alles Wesentliche beinhaltet, betonte Demmer, was mehrere Mitglieder des Rates bestätigten.
„Defizit an Verantwortung“ „Die Aufarbeitung zeigt mangelnde Sorgfalt, nicht angewendete Standards, fehlende Regeln, ein Defizit an Verantwortung“, gestand Demmer ein. Die journalistische Glaubwürdigkeit des RBB sei in Frage gestellt, der Ruf beschädigt. „Wir liefern jeden Tag Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit“, so Demmer weiter. Die Maßgabe der Intendantin: „Wir müssen nicht die Ersten sein, wir müssen nicht die Lautesten sein. Quoten sind nicht der alleinige Maßstab.“
Um die Qualitätssicherung in Zukunft zu gewährleisten, hat der RBB aus der Aufarbeitung einige Maßnahmen abgeleitet. Als Katrin Günther sie im Rundfunkrat vorträgt, fasst sie damit auch ihre eigenen Versäumnisse als Programmdirektorin zusammen: „Ich habe um die Auflösung meines Vertrags gebeten, weil auch ich für das Desaster verantwortlich bin.“ Zwar sei sie krank gewesen, als die Beiträge über die Vorwürfe gegen Gelbhaar entstanden seien: „Ich war aber für die Abläufe verantwortlich, die hätten sicherstellen sollen, dass solche Fehler nicht passieren. Das habe ich nicht ausreichend priorisiert.“
In der anschließenden Diskussion meldeten sich viele Mitglieder des Rundfunkrats zu Wort, die Günthers Rücktritt bedauerten oder ihr großen Respekt für den Schritt zollten. Gelobt wurde das Direktorium auch mehrheitlich für die Entscheidung, mit Stephan Wels und der Beraterfirma Deloitte externe Stellen mit der Aufarbeitung zu beauftragen – auch wenn das Gutachten den RBB Günther zufolge mehr als 60.000 Euro gekostet habe. „Bei einer internen Aufarbeitung hätten wir diese Ergebnisse nicht bekommen, zumindest nicht von dieser Tragweite“, sagte der Vertreter des Programmausschusses. Nun müssten umfassende Maßnahmen ergriffen werden.
Schulungen für die gesamte ARD Diese Maßnahmen hatte Günther dem Rundfunkrat da auch schon vorgestellt: Die Zuständigkeiten und Workflows der Chefredaktion und des Justiziariats sollen überarbeitet werden, genauso wie redaktionelle Regelwerke. Verantwortung soll eindeutiger verteilt und Rollenbeschreibungen überprüft werden. Im Abnahmeprozess will der RBB künftig investigative Kompetenz sicherstellen, außerdem sollen Recherchen von derartiger Tragweite immer von Personen betreut werden, die Erfahrungen mit investigativem Journalismus haben. Wer außerhalb der Investigativteams solche Projekte angehen wolle, müsse sie der Chefredaktion melden. So soll auch sichergestellt werden, dass das Justiziariat und die Chefredaktion frühzeitig eingebunden werden können.
In Zukunft sei vorgegeben, dass Quellen, auch wenn sie im Beitrag selbst anonym bleiben, persönlich getroffen und eindeutig identifiziert werden müssen. Man habe sogar über eine Regel diskutiert, nach der Quellen immer zu zweit getroffen werden müssen, so Günther: „Das wäre im Alltag aber nicht immer möglich.“ Wer investigativ arbeiten wolle, müsse eine Schulung zu Verdachtsberichterstattung machen – eine Maßnahme, die im Übrigen als Folge des Gelbhaar-Skandals für die gesamte ARD gelten werde.
Aus den angekündigten Maßnahmen spricht der Versuch, Falschberichterstattung wie im Fall Gelbhaar künftig zu vermeiden. Doch die Rundfunkräte treibt auch noch eine andere Sorge um: „Wie vermeiden wir, dass Journalisten aus Angst in Zukunft MeToo-Themen nicht mehr anfassen?“, fragt ein Mitglied das Direktorium. Intendantin Demmer ist zuversichtlich, dass die Veränderungen auch hier Abhilfe schaffen: „Wenn die Verantwortungen eindeutig geklärt sind, schaffen wir freien Raum zum Recherchieren, weil alle sich darauf verlassen können.“ Auch Katrin Günther, die das Amt als Programmdirektorin noch kommissarisch ausübt, betont: „Es ist wichtig, dass die Kollegen angstfrei ihrer Arbeit nachgehen können.“
Neun Millionen für die Zahlungsfähigkeit Wer dieser Tage mit Beschäftigten des RBB spricht, kann verwundert feststellen, dass so mancher noch gar keine Gelegenheit hatte, sich mit dem Bericht zur Gelbhaar-Affäre eingehender zu befassen. Der Grund hierfür ist das zweite Aufreger-Thema, das am vergangenen Freitagabend auf der Tagesordnung des Rundfunkrats stand: die Sparmaßnahmen und das sogenannte Zielbild 2028, mit dem man dem Weg in die kommenden Jahre eine Richtung geben will.
„Wir arbeiten seit Herbst 2023 an diesem Zielbild“, erzählt die Intendantin. „Wir haben dabei festgestellt, dass uns mehr Geld fehlt als gedacht.“ 22 Millionen Euro müssen bis Jahresende eingespart werden, eine Summe, die über 250 Vollzeitstellen entspricht. 13 Millionen sollen für die digitale Zukunftsfähigkeit eingesetzt werden, schlappe neun Millionen sind schlicht und einfach nötig, um die Zahlungsunfähigkeit zu verhindern.
„Das wird ein Kraftakt“, kündigt Demmer im Rundfunkrat an. „Das schmerzt, es bereitet Sorgen. Aber es ist unvermeidbar, um die Zukunftsfähigkeit zu sichern.“ Rund 150 konkrete Sparmaßnahmen habe man der Belegschaft vorgestellt, so Demmer. In Stein gemeißelt sei aber noch nichts: „Eine Konsolidierung können wir nur im Miteinander erreichen. Deswegen gibt es zum Sparkurs einen Partizipationsprozess, in dem die Mitarbeiter Maßnahmen kommentieren und einzelne Vorschläge machen können“, so Demmer weiter.
Sorge um Qualität und Aktualität Doch in der Belegschaft regt sich Unmut über das Vorgehen. Im Gespräch mit dem KNA-Mediendienst klagt eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben will: „Man bekommt das Gefühl, dass die Verantwortung vom Direktorium auf die Belegschaft übertragen wird. Ich kann versuchen, meinen eigenen Job zu retten, aber nur auf Kosten der Stelle eines anderen.“
Und auch die Maßnahmen selbst gelten in der Belegschaft teils als wenig durchdacht. So hat der Sender beispielsweise angekündigt, bei der „Abendschau“ die Nachrichtenmoderation abzuschaffen. Stattdessen sollen vorbereitete Beiträge ausgestrahlt werden. Deshalb fürchten manche um die Qualität der Marke „Abendschau“. Wo man heute noch dem Moderator oder der Moderatorin kurzfristig einen Text zu einer neuen Entwicklung in die Sendung reichen könne, müsse nun ein eigener Beitrag produziert und vor allem auch bebildert werden. Eine Sparmaßnahme, die zulasten der Aktualität gehen würde.
Die „Abendschau“ steht beispielhaft für ein Gefühl in der Belegschaft, dass trotz des Partizipationsprozesses wieder einmal an ihren Köpfen und vor allem auch an ihrem Fachwissen vorbei entschieden wird. Ein Vorwurf, der auch für das „Zielbild 2028“ gilt.
Der Fleiß des Transformationsexperten Das Konzept für die kommenden Jahre war lange angekündigt und wurde nun den Rundfunkräten erstmals detaillierter präsentiert – und zwar von Peter Parycek. Der österreichische Transformationsexperte war vom RBB erst vor Kurzem eingekauft worden – und prompt wegen seines hohen Gehalts in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Denn Parycek arbeitet laut Vertrag nur mindestens drei Tage in der Woche für den RBB. Mit dieser Arbeitszeit läge sein Gehalt hochgerechnet höher als das der Intendantin. Die wirft sich aber vor ihren neuen Berater: „Ich treffe Herrn Parycek regelmäßig noch um 23 Uhr auf dem Flur“, lobt Demmer den Fleiß des Transformationsexperten. Durch den neuen Staatsvertrag habe man die Position des technischen Direktors eingebüßt, die Parycek nun auf Zeit ausfüllen soll. In dieser Rolle ist er auch für das Zielbild 2028 verantwortlich, das er gemeinsam mit seinem Team dem Rundfunkrat präsentierte.
„Die Medienlandschaft ist im Umbruch. Die Berufsbilder sind im Wandel, der Medienkonsum verändert sich, die technologischen Veränderungen im Bereich KI hatten von Anfang an Auswirkungen auf die Medienlandschaft“, so Parycek. Leitfrage des Zielbildes sei, wie es dem RBB gelingen könne, seine Relevanz in Berlin und in Brandenburg zu halten und zu steigern – um „die Zukunftssicherheit sicherzustellen“, wie Parycek in etwas unglücklichem Managerdeutsch verkündet. Die Ziele seien vor seiner Ankunft schon vorhanden gewesen, jetzt gehe es um den Weg dorthin. Und auch der so ungeliebte Konsolidierungsprozess ist Parycek zufolge am Zielbild ausgerichtet.
Standards statt Katzenvideos Konkret sieht das Konzept vor, bis 2028 die Hälfte aller Flächen des RBB einzusparen. Im Bereich Produktion und Technik sollen ebenfalls Ressourcen gebündelt und „effektiver genutzt“ werden. Beim Programm sollen erfolgreiche Marken und Social-Media-Kanäle gestärkt, Events zum Dialog mit dem Publikum deutlich ausgebaut werden. Im Bereich Audio sind vier dauerhaft betriebene Podcast-Kanäle geplant, im Bereich Video 40 Regionalreportagen. Alle Neuentwicklungen im Programm richten sich an klar begrenzte Zielgruppen – unter Fünfzigjährige aus sozialen Milieus, die der RBB bisher nach eigenem Empfinden nicht gut mit Angebot versorgen. Diese Menschen sollen aber „mit öffentlich-rechtlichen Standards erreicht werden, nicht mit Katzenvideos“, betont Programmdirektorin Günther.
Dafür will der RBB ein sogenanntes Portfoliomanagement einführen, das sicherstellt, dass das Angebot und vor allem die Entscheidungen über neue Formate an den vorgegebenen Zielen und Zielgruppen orientieren: „Wir können nicht mehr einfach so drauf los produzieren“, warnt Günther.
An dieser Stelle werden viele Rundfunkräte hellhörig. „Werden mit dem Portfoliomanagement die Algorithmen redaktionelle Entscheidungen übernehmen?“, fragt ein Mitglied des Gremiums. Immerhin sei es bei den großen Online-Plattformen bereits üblich, sich nur an der Nachfrage zu orientieren und kein Risiko einzugehen. Netflix verliere mit dieser Strategie stetig Abos, weil sich das Konzept mit der Zeit abnutze. „Das Portfoliomanagement ist eine Weiterentwicklung dessen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk seit Jahrzehnten falsch macht“, springt ihm ein anderes Mitglied zur Seite. Damit werde der „Schritt zur Nachfragekultur“ endgültig vollzogen. Das sei aber nicht der gesellschaftliche Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, sondern der der Privaten und der Streamer. „Mit diesem Weg werden ARD und RBB sich am Ende überflüssig machen“, warnt der Rundfunkrat.
Ein Sinnbild für die Großbaustelle Natürlich werde es auch in Zukunft in besonderen Fällen Programmentscheidungen außerhalb des Portfoliomanagements geben, versucht Katrin Günther die Gemüter zu beruhigen. Wie heikel das Thema ist und welcher Kulturwandel hier vollzogen werden soll, zeigt ihre Antwort: Bei zeitkritischen Themen oder Projekten gebe es in Zukunft auch „diesen Umweg der Schnelligkeit“, sagt Günther.
Ein Bonmot, das sinnbildlich für die Großbaustelle RBB stehen könnte. Eine Sendeanstalt, die sich inmitten einer schwierigen Lage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk allgemein in einer mehrfachen Binnenkrise befindet, durch die sich schon zu normalen Zeiten nur schwer hindurch navigieren ließe. Jedes einzelne Problem für sich kommt mit einer massiven Dringlichkeit daher, alle sind miteinander verknüpft und scheinen sich nur in einer gesammelten Kraftanstrengung bewältigen lassen. Ob es den Verantwortlichen gelingt, hier Aufsichtsgremien, Staatskanzleien, die schrumpfende Belegschaft und vor allem auch das Publikum mitzunehmen, muss sich erst noch zeigen.