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Niederlande: Darf ein Entführer ein Fernseh-Interview geben?

Entführung und Erpressung: Seit über 30 Jahren macht Willem "Die Nase" Holleeder in den Niederlanden Schlagzeilen. Jetzt gab der Heineken-Entführer erstmals ein großes und umstrittenes TV-Interview. Andere Medien sind empört.

Utrecht (dpa) - Leicht unbehaglich rutschte Willem Holleeder auf seinem Stuhl hin und her. Dabei saßen dem ehemaligen Boss der Amsterdamer Unterwelt und dem Entführer des Biermagnaten Freddy Heineken diesmal nicht Staatsanwälte, Richter und Kripobeamte gegenüber. 100 Studenten und ein Journalist nahmen den bekanntesten Kriminellen des Landes in der Fernsehsendung "College Tour" ins Kreuzverhör. 1,3 Millionen Niederländer verfolgten am Freitagabend das wohl umstrittenste Fernsehinterview des Jahres.

Er wollte offen und ehrlich antworten, hatte Holleeder gesagt. Doch Geständnisse hatte der Mann, der seit Jahrzehnten Schlagzeilen macht, nicht in petto. Die Entführung Heinekens und dessen Chauffeur 1983, für die er elf Jahre hinter Gitter saß, machte ihn international bekannt. Doch bis auf ein paar Schnappschüsse und Fahndungsfotos blieb er für das große Publikum ein Unbekannter. Bis jetzt.

"Eigentlich ein ganz sympathischer Typ", stellte die 19 Jahre alte Studentin Marije nach der Sendung in Utrecht verblüfft fest. Im dunklen Pulli mit V-Ausschnitt, aus dem der weiße Hemdkragen mit schwarzen Karos hervorlugte, sah der 54-jährige "ganz normal" aus. Leicht wuscheliges Haar, dunkle Augen, ein freundliches Grinsen und mitten im Gesicht die große Nase - der verdankt er auch seinen Beinamen "De Neus".

Die Heineken-Entführung bedauerte Holleeder. "Das war naiv und falsch", sagte er. Er habe damals schnell an Geld kommen wollen. "Und Heineken konnte das ausspucken." Vom damals bezahlten Lösegeld von heute rund 15 Millionen Euro blieben 3,5 Millionen spurlos verschwunden. "Das ist auf dem Strand verbrannt." Auch das bedauerte er wohl. "Alles ist weg."

2007 war Holleeder wegen Erpressung zu neun Jahren Gefängnis verurteilt und im Januar vorzeitig entlassen worden. Und noch immer verdächtigt die Staatsanwaltschaft ihn wegen mehrerer Auftragsmorde. "Dazu sage ich nichts." Journalist Twan Huys blieb hartnäckig: "Es gibt genug Zeugen, die Todesangst vor Ihnen haben." Holleeder schüttelte erstaunt den Kopf: "Das versteh' ich nicht."

Nur einmal wird er leicht ungemütlich, als ein Jurastudent im roten Shirt nicht locker lässt. "Willst du dich mit den Geschichten über deinen gewalttätigen Vater entschuldigen?" Kurz, aber scharf fährt "Die Nase" ihn an: "Bist du noch immer da?"

"Ist dein Leben nicht ein Haufen Elend?" wollte ein anderer wissen. "Ich bin zufrieden mit meinem Leben, wie es ist." Nur etwas bedauert der Amsterdamer. Er hätte gerne Psychologie studiert. "Mich interessieren Menschen."

Polizei, Politik, Medien und auch viele Niederländer waren empört über den TV-Auftritt. Die rechtsliberale Regierungspartei VVD wetterte gegen die "Verherrlichung" eines Schwerverbrechers. Der zuckte nur mit den Schultern. Das sei scheinheilig. "Alle machen einen Kuschel-Kriminellen aus mir: Jeder will ein Interview, und Promis wollen mit mir aufs Foto." Auch schreibt er Kolumnen für eine Illustrierte, macht Reklame für eine Uhrenmarke und nahm mit einem bekannten Rapper eine CD auf.

Die Studenten hielten sich zurück und empfingen Holleeder nicht mit Applaus wie sonst prominente Gäste dieser Sendereihe, den Dalai Lama oder den südafrikanischen Bischof Desmond Tutu. Holleeder wurde kein TV-Star, kommentierte die Zeitung "De Volkskrant". "Aber das Programm gab "Der Nase" ein Gesicht. Und sehr schön war das nicht."

Annette Birschel