Matthias Horx legt nach: Warum Zuversicht jetzt so wichtig ist
Trendforscher Matthias Horx.
Sein Schreiben „Die Welt nach Corona“ fand große Beachtung. Nun hat der Trend- und Zukunftsforscher nachgelegt:„Darf man optimistisch sein?“ heißt sein neues Stück.
Wien – Sein Corona-Mutmach-Beitrag „Die Welt nach Corona“ fand große Beachtung in der Branche. Nun hat Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx nachgelegt: „Darf man optimistisch sein?“ heißt sein neues Stück. Der folgende Text ist ein Auszug daraus:
„Wo nehmen Sie eigentlich Ihren Optimismus her, Herr Horx?“
„Sie sind ja ein Optimist, was sagen Sie eigentlich dazu, dass ...???“ (es folgt eine schreckliche Meldung aus den Medien)
„Wenn Menschen leiden und Angst haben - wie kann man dann etwas positiv finden? - Das ist ja geradezu ,privilegiert,‘!“
„Wieso kommen Sie eigentlich darauf, dass sich nach dieser Krise irgendetwas ändert? Die Menschen sind egoistisch, und sie werden jetzt NOCH egoistischer, und nach ein paar Monaten werden alle Leute wieder gierig dem Turbokapitalismus hinterherlaufen!“
So geht es derzeit in meiner Mailbox zu. Neben unfassbar vielen berührten und berührenden Zuschriften, für die ich zutiefst dankbar bin, hat der Text Die Welt nach Corona auch etwas anderes auf den Plan gerufen. Diejenigen, die nicht an die Zukunft, eine bessere Zukunft, glauben können, setzen sich in Position.
Optimismus ist dabei zu einem regelrechten moralischen Vorwurf geworden. Ich möchte erwidern: Es hilft den Menschen die leiden, und denen unsere volle Empathie gilt, nicht im Geringsten, wenn wir alle nur finster mitleiden. Es würde vielmehr helfen, Mut zu machen. Das wäre konstruktiv.
Aber welche Haltungen helfen uns dabei, jenen Wandel herzustellen, der jetzt nötig ist? Mit welchem Weltbild kommen wir besser in die Zukunft? Optimismus oder Pessimismus?
Warum ich kein Optimist bin
Zunächst finde ich reinen Optimismus ziemlich langweilig. Wir alle kennen diese geleckten Typen, die immerzu positiv sind, einem auf die Schulter schlagen und immer alles KLASSE finden. Mit Voll-Optimisten kann man nur schwer in menschlichen Kontakt kommen. Denn mit dieser Haltung ist eine gewisse Ignoranz verbunden. Man ignoriert das Negative, das Dunkle, das es im Leben, in der Gesellschaft, der Welt ja ohne Zweifel gibt, zugunsten einer narzisstischen Fröhlichkeit. Das erzeugt eine Oberflächlichkeit, eine Untiefe, die auf Dauer unerträglich ist. Und immer schiefgeht.
Auch auf der Brücke der Costa Concordia am 13. Januar 2012 vor der Insel Giglio im Mittelmeer herrschte der pure Optimismus – beim Umtrunk des Kapitäns Francesco Schettino stieß man auf das Glück und die Liebe an. Kurz bevor das Schiff auf ein Riff lief …
Viele Unternehmen der Alten Ökonomie sind schon länger in eine innere Krise geraten, weil sie einem linearen Optimismus folgen, der das alte Geschäftsmodell immer weiter in die Zukunft trieb. Am liebsten in exponentieller Kurve. Die Devise des „immer mehr, immer schneller“ führte zunächst in lauter Desaster – Abgaskrise, Boeing-Abstürze – die aber irgendwie noch verkraftet werden konnten. Jedenfalls mangelte es der Autoindustrie, der Flugzeugindustrie, eigentlich ALLEN Industrien, nicht an Optimismus, im Gegenteil. Auf jeder Business-Veranstaltung, an der ich bis zur Corona-Krise teilnahm, wurden immer sagenhafte kommende Erfolge gefeiert.
Aber irgendwie war das ein Pfeifen im Wald In der Corona Krise war Optimismus auch nicht gerade ein gutes Rezept. In den Ski-Bars von Ischgl feierte man fröhlich-optimistisch in den Morgen, während die Virologen in den Fernsehstudios schon die kommende Wahrheit aussprachen. Hier hatte Angst ihr Gutes, sie tat ihren Job: Uns wachzumachen für einen dringend nötigen, wenn auch schmerzhaften Verhaltens-Wandel.
Was können wir daraus lernen? Optimismus hat seine Tücken. Als konstruktive Zukunftshaltung eignet er sich wenig, weil er immer an der Oberfläche verläuft. Er ist nicht ehrlich. Pessimismus hingegen kann in ganz bestimmten Situationen sehr hilfreich sein. Wenn er aber zum Prinzip des Lebens gerinnt, wirkt er fatal.
Wie ist es aber mit den Pessimisten? Der Pessimist argumentiert ja, dass er nur auf Gefahren hinweist. Ich glaube allerdings, dass das ein Trick ist. In Wirklichkeit zielt er eher auf unsere Ängste – und verstärkt sie, durchaus in eigenem Interesse. Er möchte mit seiner Angst, die er in ein Weltbild steckt, nicht alleine bleiben. So verstärkt der Pessimismus das Problem, das er beschreibt. Mit der Aussage, dass alles nur schlecht ausgehen kann, macht man sich ja auf gewisse Weise unangreifbar. Man ist Mahner, Warner, und dadurch in einer Superposition. Gleichzeitig aber baut man eine riesengroße Barrikade gegen das auf, was helfen könnte: den Wandel.
Diese Logik der verstärkten Ängste macht den Pessimisten sehr beliebt. Und selbstsicher. Er muss sich um Aufmerksamkeit nicht bemühen. Alle, die Angst haben, sind vom Pessimisten fasziniert. Kamerascheinwerfer richten sich auf ihn, wenn er die Bühne betritt, und mit finster Stimme das Ende des Volkes/ die ständig wachsende Kriminalität/ den Zerfall Europas oder welche Katastrophe gerade unabweislich ist, beklagt. Das ist das populistische Prinzip: Man führt die Menschen an ihrer Angst an der Nase herum.
Seit der Vershitstormung der Welt hat der Pessimist noch eine andere Gestalt angenommen: Die des Trolls. Der Troll, bekannt aus den Hasstiefen des Internet, kombiniert sein inneres Elend mit der Aggression und saugt daraus den Honig der Zerstörung. Der Zerstörung von Debatten, von Gedanken, von Diskursen. Von Hoffnung und Zukunft.
Ich werde auch viel gefragt, „was ich denen sagen möchte, die ANGST haben“ Auf diese Frage gibt es keine sinnvolle Antwort. Es ist ja so, dass man sich im Zustand der Angst nichts sagen lassen kann. Angst ist ein uns von der Evolution mitgegebener Reflex, eine Mobilisierung, die uns zum Kämpfen oder Fliehen befähigen soll. Wenn der Säbelzahntiger kommt, kann man keine Debatten führen und Argumente abwägen. Angst kennt kein „Aber“, Optimismus ist hier völlig unangebracht. Dann regiert das Adrenalin im Hirn und im Körper. Angst kann man vielleicht trösten, aber nicht widerlegen.
Aber sie geht auch vorbei, meistens jedenfalls.
Angst geht vorüber, und dann machen wir eine verblüffende Erfahrung: wir erleben eine Selbstverwandlung. Das ist nach jeder überstandenen Krankheit so, nach Trauerprozessen, nach Veränderungen, die uns forderten. Jeder hat das schon einmal erlebt, wenn er aus einer Krise herauskam und plötzlich „die Welt mit neuen Augen sah“.
Genau das macht die Corona-Krise mit uns. Die erstaunlichste Erfahrung dieser Krise ist doch, dass man die Angst überwinden kann, indem man sie zulässt. Dass wir auf der anderen Seite der Angst plötzlich wieder herauskommen können.
Wir wundern uns dann, dass wir immer noch da sind. Und plötzlich wirkt die Welt wieder frisch. Und fordert uns heraus.
(siehe dazu das Werk des Moralphilosophen Zygmunt Baumann, der sich immer wieder die Frage stellte „Wie wird die Welt wieder frisch?“)
Mein Vorschlag: Zuversicht
Zuversicht ist eine Haltung, die uns näher zum Handeln und Verändern bringt. Zuversicht hat etwas Zupackendes, und gleichzeitig nach der Zukunft Fragendes. Sie fragt: Was kann ich, was sind meine Kompetenzen? Was kann ich be-wirken? Was ändert sich, und wie kann ich darauf selbst eingehen?
In der Zuversicht finden wir das Prinzip der Re-Gnose wieder. Zu-ver-sicht - darin steckt bereits das Hin-Schauen UND nach Innen schauen. Im Zuversichtlichen fragen wir nicht mehr „wie wird die Zukunft ganz genau?“ (das kann niemand wissen, auch der Zukunftsforscher nicht). Sondern "was können wir für die Zukunft tun?" Wir treten in unsere innere Zukunfts-Verantwortung ein, und dadurch MACHEN wir Zukunft.
Zuversichtliche Menschen erkennt man daran, dass sie etwas für möglich halten, was sie selbst mit verursachen. Also auch eine bessere Zukunft.
Zuversicht ist reifer, erwachsener Optimismus, nicht blauäugig, sondern motivierend. Man traut sich etwas zu, und damit verändert man die Welt, statt sich vor ihr zu fürchten.
Mein Lieblingsheld aus Star Trek, Captain Picard – äußere Ähnlichkeiten sind rein zufällig – antwortet in der jetzt laufenden Serie Picard auf die Frage nach seinem Lebens-Motto nach 40 Jahren Sternenflotte:
„Eine Unmöglichkeit nach der Anderen!“
Hans Rosling, der große Weltstatistiker, war selbst ein Seuchenforscher und hat in seinem Buch „Wie ich lernte die Welt zu verstehen“ geschildert, wie kompetente Zuversicht gerade in schwierigen Umständen entsteht. Das Buch ist derzeit besonders lesenswert, weil es uns in die Welt der Krankheiten und ihrer Bewältigung entführt, unter anderem nach Mozambique in den 1970er-Jahren und nach Kuba. Hans Rosling hat die Zuversicht im Denken „Possibilismus“ genannt. Possibilismus heißt, dass wir nicht in Ausschließlichkeits-Zukünften denken „Die Zukunft wird gut ODER schlecht“. Sondern in Möglichkeiten. Potentialen.
Zuversicht, oder Possibilismus, besteht also nicht in der Gewissheit, dass „schon nichts Schlechtes passieren wird“. Es wird eine Menge passieren! Auch Schlechtes, Schlimmes, kaum zu Ertragendes. Zuversicht wächst im Vertrauen darauf, dass wir auch dann eine ANTWORT finden können, wenn es schwierig wird. Das ist wahre Zukunfts-Kompetenz, die uns ganz neue Freiheiten schenkt. Und tun Menschen das nicht andauernd, viel mehr als wir glauben?
[...]
Flatten the Curve
Hinter unserem Haus am Stadtrand von Wien, wo ich mit meiner Familie jetzt, Ende März, in coronaler Isolation lebe, ist der Wald voll mit Hunderten von Menschen, die in kleinen Gruppen umherwandern. Jung und Alt, Arm und Reich, Mensch und Tier (Hund und sogar Katze). Paare, die in virologischer Einheit leben, küssen sich innig, aber immer mit zwei Meter Abstand zu Anderen. Fünfergruppen mit Hund stehen da und lachen – worüber? Humor, im Gegensatz zu Zynismus, ist ein wunderbares Gegenmittel gegen das Virus. Kinder sind fröhlich, weil sie plötzlich dauernd mit den Eltern zusammen sind. Eine Wolke von Energie breitet sich aus - eine Art positiver Gegen-Infektion.
Kann so etwas anhalten? Unsere Kultur verändern?
Wir alle sind konfrontiert mit einem Paradox, das uns Staunen lässt: Indem wir uns aus dem Weg gehen, kommen wir uns näher. Indem wir uns vereinzeln, bilden wir neues WIR. Indem wir uns stilllegen, werden wir aktiv. Dabei SPÜREN wir uns wieder.
Vielleicht erleben wir das, was wir „früher“, also in der Prä-Corona-Zeit am meisten vermissten: Selbstwirksamkeit. Das Gefühl, etwas bewirken zu können, fällt in der Corona-Krise plötzlich IN EINS mit dem Gefühl, etwas für die Gesellschaft zu tun. Indem wir unser Verhalten individuell ändern, sind wir plötzlich „politisch“. Indem wir für uns selbst sorgen, sorgen wir uns auch für andere. Die zerspaltene Welt fügt sich plötzlich zusammen.
Könnten wir dieses Gefühl von inneren Zukunfts-Werdung auch in eine Post-Corona-Zeit übernehmen? Könnten aus diesen vielen Menschen im Wald noch mehr werden? Alles läuft derzeit auf diese Frage heraus. Unmöglich, sagen die Pessimisten. Menschen sind gierige Idioten, die sich NIE ändern werden. Alle werden nach dem Leid der Krise noch schlechter drauf sein, es wird fürchterlich, ein Desaster, nach ein paar Monaten rennen und hetzen alle wieder wie zuvor … Ich bin mir da nicht so sicher. Es könnte auch anders kommen als erwartet. Immerhin wäre das möglich.
Flatten the curve! – die Parole für das gemeinsame Ausbremsen des Virus – könnte das nicht ebenso für die Fieberkurve der global-industriellen Zivilisation gelten? Was das Virus hervorbrachte, brachte auch die CO2-Überhitzung hervor. Wenn uns durch Selbst-Entschleunigung die Entschleunigung des Virus gelingt – könnte daraus eine Gegen-Infektion erfolgen – sozusagen ein positives Virus, das sich in der humanen Kultur als Idee eine postfossilen Zukunft verbreitet?
Die Antwort müsst Ihr finden. Ihr selbst. Ich. Wir alle. Es gibt keine präzise Methode, das „vorherzusagen“. Optimismus und Pessimismus geben uns keine Antwort darauf. Aber darum geht auch gar nicht. Re-Gnose heißt ja, dass wir in uns selbst in die Zukunft „voraussagen“. Dass wir unsere Morgen-Verantwortung übernehmen. Change yourself and change the world. Die Zukunft beginnt in uns. Sie ist, ähnlich wie die Liebe, eine Entscheidung.