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Holger Stark: „Bei der ,Zeit‘ gelingen vielleicht zwei Drittel aller investigativen Recherchen, etwa ein Drittel scheitert“

Holger Stark: „Bei der ,Zeit‘ gelingen vielleicht zwei Drittel aller investigativen Recherchen, etwa ein Drittel scheitert“ Holger Stark (Foto: Nina Mallmann)

Warum sich das eine Redaktion dennoch leisten muss, wie oft er schon zurückgepfiffen wurde und was sein größter Fehler war, erklärt der Leiter des Investigativ-Ressorts bei „Zeit“ im „medium magazin“-Interview.

Hamburg – Investigativer Journalismus sei per se gefahrengeneigt, sagt Holger Stark. Der Leiter des Investigativ-Ressorts bei „Zeit“ und „Zeit Online“ muss es wissen. Ein Gespräch im aktuellen „medium magazin“ mit Wolfgang Scheidt  über Fehler, Undercover- und MeToo-Recherchen und den Einfluss von Staranwälten wie Christian Schertz auf den Journalismus. 

 

Herr Stark, rund die Hälfte aller Recherchen verlaufe im Sand, sagte Anette Dowideit von Correctiv im Deutschlandfunk. Wie hoch ist die Trefferquote Ihres Teams bei der „Zeit“?
Holger Stark: Die Hälfte scheint mir zu hoch gegriffen. Bei der „Zeit“ gelingen vielleicht zwei Drittel aller investigativen Recherchen, etwa ein Drittel scheitert. Recherchejournalismus ist anspruchsvoller Journalismus, der Zeit und Geld kostet.

 

Sie bezeichneten es als den Luxus eines Investigativ-Ressorts, sich so viel Zeit wie nötig nehmen und auch nach 100 Tagen Recherchen mit drei Redakteuren ergebnislos abbrechen zu können.
Das muss sich eine Redaktion leisten können und sie muss dann auch den Raum lassen, wenn Rechercheure sagen, dass sie sich geirrt haben. Sonst entsteht ein potenziell gefärbter, unwahrhaftiger Journalismus, der Geschichten um der Geschichte willen passend macht.


Irgendwann stoßen Recherchen aber an Grenzen. Entscheiden Sie nach Bauchgefühl, wann Sie die Reißlinie ziehen?
Über die Jahre entwickelt man ein Gespür, ob eine Recherche stimmig ist. Aber Bauchgefühl alleine reicht nicht. Bei heiklen Recherchen konsultieren wir in frühen Stadien unsere Anwälte, ob eine bestimmte Form von Berichterstattung überhaupt möglich ist. Wenn wir sicher sind, dass wir juristisch scheitern, lassen wir es sein – trotz noch so heißer Spuren.

 

Der Investigativjournalist Hans Leyendecker bezeichnet rückblickend eine „Spiegel“- Titelgeschichte über den Antiterroreinsatz in Bad Kleinen vom 27. Juni 1993 als seinen schwerwiegendsten Fehler. Welcher war Ihrer?

Eine so bittere Erfahrung blieb mir glücklicherweise bislang erspart. Aber ich erinnere mich an eine Prognose, die ich im Sommer 2015 als Washington-Korrespondent des „Spiegel“ abgab: Donald Trumps Positionen seien im Amerika von heute nicht mehrheitsfähig – auch wenn mir dann schnell klar wurde, wie gut seine Chancen standen. Dieser Satz mahnt mich, dem allwissenden Erklär-Journalismus umso skeptischer gegenüberzustehen, der frei von Zweifeln ist, mit erhobenem Zeigefinger daherkommt und mit Ausrufezeichen operiert. Das hätte ich nicht schreiben dürfen.


Scheint Ihnen eine Rückkehr Trumps ins Weiße Haus möglich?


… gefährdet man so Medienvertrauen?

Trifft die Realität ganz anders ein, als sie Journalisten beschreiben, stellen die Menschen fest, dass das, was ihnen vorgesetzt wurde, falsch war. Das trägt dazu bei, dass das Vertrauen in die Qualitätsmedien erodiert. (Stark hält kurz inne.)

Während der Coronapandemie ist der Journalismus seiner Rolle nicht gerecht geworden. Mit etwas Abstand sehen wir an diesem Musterbeispiel, was falsch läuft. Wir müssen hinterfragen, was die Politik in den Krisenjahren getan hat, wie bestimmte Wordings entstanden sind. Medien blicken viel zu selten in den Maschinenraum der Macht. Fragen zu Schulschließungen, Lockdowns oder Impfpflicht sind existenzielle Entscheidungen, teilweise über Leben und Tod. Der Journalismus war in dieser Krisenzeit nicht gut genug. Wir hätten mehr herausfinden können, ich würde sagen: müssen. Eine Lehre lautet: In diesen Bereichen in Zukunft mehr zu recherchieren, mehr zu investigieren, Dinge nicht zu glauben, sondern ihnen nachzugehen, Fragen zu stellen. Journalisten und Journalistinnen sollen die Mächtigen kontrollieren, nicht mit ihnen kuscheln. Corona ist eine Benchmark, die über das Vertrauen der Menschen in den Journalismus mit entscheiden kann – wie tief es reicht oder ob es erodiert. 

 

 

Wie oft wurden Sie bisher aus juristischen Gründen von einer Recherche intern zurückgepfiffen?

 

Von der Kanzlei Schertz Bergmann, die auch den Rammstein-Sänger Till Lindemann vertritt, kennt man das Prinzip, Redaktionen „vorsorglich“ zu informieren, dass man bei dieser und jener Berichterstattung über einen Mandanten mit Rechtsmitteln reagiere. Was halten Sie von solchen Schreiben?

 

In der ARD-Doku „Der Star-Anwalt: Christian Schertz und die Medien“ bezeichnet Giovanni di Lorenzo das Agieren von Star-Anwälten wie Schertz als diametral zu dem, was Journalisten wichtig sei, als Anschlag auf das Bestreben, wahrhaftig zu berichten. Gleichzeitig spielte Schertz der „Zeit“ Me- Too-Vorwürfe einer Mandantin gegen Dieter Wedel zu. Die „Zeit“ landete einen Scoop. Wie ist Ihr Verhältnis zu Rechtsanwälten wie Christian Schertz?

… 

 

Den Fall Dieter Wedel bezeichnete di Lorenzo in der ARD-Doku als die riskanteste Recherche seiner Zeit als Chefredakteur. Was macht MeToo-Fälle heikler und schwieriger zu recherchieren als beispielsweise Politik-, Finanz- oder Wirtschaftsskandale?

 

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