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„Jüdische Interessen“: Türkische Zeitung hetzt gegen Axel Springer

Aggressiv ringen Tageszeitungen in der Türkei um Marktanteile, um Deutungshoheit, agieren ohne Hemmungen für oder gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayip Erdogan.

Istanbul - Jetzt gerät Axel Springer ("Bild", "Welt", N24, StepStone) in den Kampf der Medien, und will gegen die Vorwürfe in der Türkei vorgehen.

„Lüg nicht, Hürriyet!“ lautet die Schlagzeile auf der Titelseite der Zeitung „Takvim“.

 

"Lüg nicht, Hürriyet", lautete die Schlagzeile auf der Titelseite von "Takvim" vor wenigen Tagen. Axel Springer will sich wehren.

 

 

Der Artikel, zu dem das Blatt das Logo des Medienhauses Axel Springer veröffentlicht, sorgt in Berlin für Aufruhr.

„Takvim“ zählt mit einer verkauften Auflage von gut 110.000 Exemplaren zu den größten Tageszeitungen der Türkei.

Das Blatt gehört wie viele der türkischen Medien zu einem Mischkonzern. Eigentümerfamilie Calik verlegt nicht nur „Takvim“ und die auch in unter in Deutschland lebenden Türken beliebte „Sabah“, sie betreibt auch den erfolgreichen Fernsehsender ATV.

Vorstandsvorsitzender der Familienholding ist Berat Albayrak, Schwiegersohn des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan.

„Hürriyet“ befindet sich im Besitz der Familie Dogan, ebenso wie die Nachrichtenagentur „Dogan Haber Ajansi“, die Zeitungen wie „Posta“, „Fanatik“ und „Radikal“, die Fernseh- und Radiosender „Euro D“ und „CNN Türk“.

 

Hintergrund: Eine Handvoll Mischkonzerne besitzt 80 Prozent aller Medien in der Türkei. Viele Herausgeber setzen sich dabei weniger für Pressefreiheit ein, sondern sind vor allem an einer engen Zusammenarbeit mit der Regierung interessiert. Gerade die Abhängigkeit von Werbung treibt die wenigen konzernunabhängigen Medien immer wieder an den Rand eines Zusammenbruchs. Türkische Zeitungen finanzieren sich zu 80 Prozent durch Anzeigen, nur 20 Prozent der Einnahmen kommen vom Verkauf. Da wird es schwierig, wenn die Regierung gegen ein Blatt keilt und zum Anzeigenboykott aufruft. In Deutschland ist es inzwischen fast umgekehrt, 70 Prozent der Einnahmen kommen vom Verkauf der Zeitungen, 30 Prozent aus Werbung. Bülend Ürük

 

„Takvim“ greift in ihrem ungezeichneten Bericht massiv „Hürriyet“ an, behauptet unter anderem, dass „Hürriyet“ zu 32,48 Prozent Axel Springer gehört, im Sinne von Axel Springer arbeitet, „der sich für die Aussöhnung von Deutschen und Juden einsetzt“.

Hintergrund der heftigen Streitereien ist die Bestechungsaffäre, die seit dem 17. Dezember 2013 das Land in Atem hält.

Im Morgengrauen kam es in Istanbul und Ankara zu Großrazzien der Polizei, dutzende Menschen nahmen die Beamten unter Korruptionsverdacht fest, unter anderem die Söhne des Innenministers Muammer Güler, des Wirtschaftsministers Zafer Caglayan und des Umweltministers Erdogan Bayraktar sowie den milliardenschweren Bau-Unternehmer Ali Agaoglu, der auch in Berlin mit seinem Unternehmen präsent ist, Süleyman Aslan von der sich in Staatsbesitz befindlichen Halkbank sowie den iranisch-aserbaidschanischen Geschäftsmann Reza Zerrab, Ehemann der populären türkischen Sängerin Ebru Gündes.

Seitdem kochen in der Türkei die Emotionen immer weiter hoch. Wer die Zeitungen liest, merkt schnell, dass es kein Blatt gibt, dass sowohl kritisch über Verfehlungen der Erdogan-Regierung berichtet als auch seine Vorzüge meldet.

Die Medien sind gespalten wie das Land - sie sind entweder für oder gegen Recep Tayip Erdogan.

Axel Springer: Keine Anteile an "Hürriyet"

Dass nun ausgerechnet Axel Springer in diesen handfesten Streit auf türkischem Boden hineingezogen wird, missfällt der Führung des Berliner Aktienunternehmens.

 

Die EU beobachtet die Situation der Journalisten in der Türkei genau. „Die Türkei wird von den europäischen Partnern auch im Rahmen der EU-Beitrittsgespräche kontinuierlich ermutigt, effektive Schritte zum Schutz und zur Förderung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei zu gehen“, so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes zu Newsroom.de. Dass die türkische Politik andere Prioritäten setzt, beweist die Unterschrift von Staatspräsident Abdullah Gül unter dem auch international umstrittenen Internetgesetz. Behörden dürfen den Zugang zu Internetseiten nun auch ohne richterlichen Beschluss sperren. Das Gesetz verpflichtet Internetanbieter, Nutzer-Daten bis zu zwei Jahre zu speichern. Die EU hatte die Türkei zur Änderung des neuen Gesetzes aufgefordert. B.Ü.

 

Denn: Axel Springer ist weder an der übergeordneten Dogan Holding, noch an der Dogan Yayin Holding, die alle Medienbeteiligungen von Dogan bündelt noch an der „Hürriyet“-Holding selbst beteiligt gewesen sei. Das erklärt ein Springer-Sprecher auf Anfrage von Newsroom.de.

Strategische Partner

Axel Springer und die Dogan Holding sind strategische Partner, Springer ist Minderheitsgesellschafter bei Dogan TV, in dem alle TV- und Radioaktivitäten der Dogan Medienholding gebündelt werden.

Rund 14,8 Prozent hält Axel Springer noch an der Gesellschaft. Ihre Anteile hat das Medienhaus in den vergangenen zwölf Monaten zurückgefahren - Bestrebungen, den Anteil zu erhöhen, gibt es nicht.

Mit Lothar Lanz und Oliver Schäffer gibt es zwei vom Unternehmen entsandte Vertreter im Aufsichtsrat von Dogan TV.

„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann sitzt dagegen als „Independent Board Member“ im Hürriyet-Beirat - und nicht auf einem Axel-Springer-Ticket. Der frühere "Hürriyet"-Chefredakteur Ertugrul Özkök schreibt eine regelmäßige Kolumne für "Bild".

Axel Springer will nach der Newsroom.de-Anfrage den genauen Wortlaut der „Takvim“-Berichterstattung prüfen und eine Richtigstellung veranlassen.

Hintergrund: Axel Springer AG

Die Axel Springer AG befindet sich mehrheitlich im Besitz von Friede Springer, die den Konzern über einen fünfprozentigen direkten Anteil und über die Axel Springer Gesellschaft für Publizistik dominiert, die wiederum 51,5 Prozent der Anteile hält. Konzernchef Mathias Döpfner hält persönlich 3,3 Prozent, 40,2 Prozent der Springer-Aktien befinden sich im Streubesitz.

Bülend Ürük