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KNA

Kampagne gegen serbische Journalistin beschäftigt Presseschützer und Europarat

In Serbien sorgt derzeit ein spektakulärer Fall von Faktenverdrehung rund um den Fernsehauftritt einer Journalistin für Aufsehen.

Belgrad (KNA) - Etliche Vertreter der serbischen Regierung starteten ihre politische Karriere in den 1990ern unter dem damaligen Machthaber Slobodan Milosevic - so etwa auch der heutige Präsident Aleksandar Vucic. Er diente unter Milosevic als Informationsminister. Als Tamara Skrozza, Journalistin des Portals FoNet, bei einem TV-Auftritt auf diese recycelte Politelite aufmerksam machte, hätte sie eigentlich schon ahnen können, welchen Sturm sie damit in den regierungsnahen Medien auslösen würde.

Nicht jedoch, wie perfide die Reaktion der Vucic-treuen Propagandaportale und -sender ausfallen würde: Dort tauchten in den Tagen nach ihrem Interview Zitate auf, die nie gefallen waren. Aus Skrozzas Aussage, Serbien wäre „ohne gewisse Leute“ heute ein anderes, besseres Land, wurde in den regimetreuen Medien das wörtliche Zitat: „Man hätte Präsident Vucic in der Nacht von 5. auf 6. Oktober 2000 umbringen sollen.“ Das Datum bezieht sich auf die Nacht, in der Zehntausende Demonstranten auf die Straßen Belgrads gingen und Milosevic erfolgreich zum Rücktritt zwangen.

Die falschen Zitate tauchten zu Beginn vergangener Woche erstmalig in den beiden Portalen informer.rs und novosti.rs auf, wie die Internationale Journalistenvereinigung (IFJ) berichtet. Kurz danach liefen Berichte, wonach Skrozza dem Präsidenten den Tod wünsche, auch im populären Boulevard-Sender "Pink" und auf anderen Kanälen. Statt gegenzulenken, stimmten auch die Behörden in Belgrad in die Polemik gegen die Journalistin mit ein: Skrozzas Aussage sei das jüngste Beispiel eines „wachsenden Trends zu Hassreden und offenen Aufrufen zur Gewalt“, erklärte das Informations- und Telekommunikationsministerium.

EU verliert die Geduld mit Belgrad
„Diese Art von Schmierkampagne, nicht nur gegen Tamara Skrozza, sondern gegen alle frei denkenden Menschen in Serbien, ist leider nicht neu, und ihr Drehbuch und ihre Handschrift sind wohl bekannt“, kritisiert Tamara Filipovic vom Unabhängigen Journalistenverband Serbiens (NUNS) die Reaktion der Regierung. Auch international sorgte der Fall bei Presseschützern in den vergangenen Tagen für Sorge. Allem voran die Reaktion von Informationsminister Dejan Ristic zeuge von dem „alarmierenden Zustand der Pressefreiheit in Serbien“, meint IFJ-Generalsekretär Anthony Bellanger.

Neben ihm verurteilt auch Pavol Szalai, Regionalbeauftragter von Reporter ohne Grenzen (RSF), das Vorgehen der Regierenden: „Sie werfen Skrozza vor, den Präsidenten bedroht zu haben - dabei sind es ihre verantwortungslosen Statements, die die Journalistin gefährden.“ Auch in Straßburg ist man alarmiert. So forderte die Plattform des Europarates für den Schutz des Journalismus und für die Förderung der Sicherheit von Journalisten am Montag ein „Ende der Verunglimpfung“. Die Drohungen gegen Skrozza müssten umgehend untersucht und die Journalistin, falls gewollt, unter Schutz gestellt werden.

Staatschef Vucic ist für seine Fernsehauftritte bekannt, in denen er den Serben regelmäßig die Welt erklärt. So ließ er es sich auch nach Skrozzas Interview nicht nehmen, vor den Kameras seine Reaktion auf die nie gefallene Morddrohung zu geben: Tatsächlich hätten seine Gegner einen Fehler gemacht, ihn nicht zu töten. Denn das sei der einzige Weg, ihn loszuwerden, erklärte Vucic.

Serbien gilt schon länger als Europas „Stabilokratie“ am Balkan: In der Region, in der die Volksgruppen 30 Jahre nach den Jugoslawienkriegen immer noch streiten, sorgt Belgrad für fragilen Frieden. Dafür haben Partner wie die EU in der Vergangenheit schon mal beide Augen zugedrückt. Eine Kehrtwende könnte aber nicht nur Serbiens fortdauerndes Liebäugeln mit Russland bringen - wie etwa die Weigerung, Sanktionen gegen Moskau mitzutragen. Auch die jüngsten Parlamentswahlen, bei denen es zu Manipulation und Stimmenkauf kam, hatte die EU kritisiert und Reformen gefordert.

Unabhängige Medien unter Druck
Wie fast alle Bereiche des Rechtsstaats, erlebte auch Serbiens Medienlandschaft während Vucics mittlerweile zehnjähriger Amtszeit als Minister- und Staatspräsident einen schrittweisen Abbau. „Zwar gibt es in Serbien Qualitätsjournalismus, der für seine Untersuchungen zu Kriminalität und Korruption ausgezeichnet wurde. Doch er ist gefangen zwischen zügellosen Fake News und Propaganda“, attestiert RSF. Ebenso sieht die Organisation Freedom House unabhängige Medien im Land unter Druck: „Die Medienlandschaft ist geprägt von extremer Propaganda und der Manipulation von Fakten zu bestimmten Themen." Regelmäßig würden die Tatsachen verdreht, wenn es um das Verhältnis von Regierung und Opposition gehe; oder beim Umgang mit dem Kosovo, der sich 2008 für unabhängig erklärte, doch von Belgrad immer noch als abtrünnige Provinz betrachtet wird.

Wie weit Serbiens Propagandazeitungen gehen, zeigte sich etwa nach einem Terroranschlag, zu dem es vor knapp einem Jahr im Nordkosovo gekommen war: Mehrere Zeitungen feierten die Täter als „Helden“ und „Märtyrer“.

Die vergangenen Tage haben laut Kritikern gezeigt, wie wenig ein demokratischer Mediensektor der Vucic-Regierung wert ist. Doch es gibt auch Hoffnung: Im Fall Skrozza haben etwa ein halbes Dutzend Presse- und Kulturverbände in der vergangenen Woche geschlossen den Rücktritt des Informationsministers gefordert. Auch die internationalen Presseschützer lassen den Balkan-Staat nicht in Vergessenheit geraten. Und nicht zuletzt ist da eine Gruppe von Nachwuchsjournalisten, die während des Skandals öffentlich erklärte: „Tamara ist unsere Lehrerin für Medienethik, die uns unendlich wichtiges Wissen vermittelt hat, dank dem wir heute unseren journalistischen Beruf ethisch und professionell ausüben.“