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Roger Köppel: Was die "Neue Zürcher Zeitung" jetzt braucht

"Die NZZ benötigt keinen Überbau an ­Managementrichtlinien und redaktionellen Absichtserklärungen. Sie braucht vor allem ­einen hervorragenden Chefredaktor, der durch seine Intelligenz und seine Urteilskraft überzeugt", schreibt Roger Köppel, Chefredaktor und Verleger der "Weltwoche", in seinem Editorial.

Zürich - Ich schicke voraus: Ich verdanke der NZZ viel. Ich bin dem Haus enorm dankbar. Als ich dort Ende der achtziger Jahre am untersten Ende der Nahrungskette in der Sportredak­tion anfing, herrschte das Heroenzeitalter des selbstbewussten Journalismus.

An den Sitzungen thronten ältere, elegant gekleidete Herren, die mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit das Weltgeschehen ordneten.

 

Unser Gast-Kommentator Roger Köppel ist Chefredaktor und Verleger von der "Weltwoche", wo sein Editorial zuerst erschienen ist.

 

Es gab keine Diskussionen, es gab keine Richtungskämpfe, es gab nur diese erdbeben­sichere Gelassenheit, mit der man den Lesern nicht nur einfach erklärte, was passiert war, sondern es ihnen so erklärte, dass man verstand, worum es – immer aus Sicht der NZZ – wirklich ging.

Die NZZ war nicht einfach eine altehrwür­dige Fabrik der Nachrichtenverarbeitung, sie war ein wunderbar gestimmtes Orchester, das jeden Tag darauf wartete, von der Aktualität in Schwingung gebracht zu werden. Uns Jungen und Neuen wurde nicht etwa eine Weltsicht doktrinär von oben verordnet, sondern man war aufgefordert, selber zu spüren, wie man sich in dieser Anarchie der Intelligenz zurechtzufinden hatte. Jeder mochte seinen klar umgrenzten Zuständigkeitsbezirk haben, aber innerhalb des eigenen Bereichs war man frei. Die NZZ war wie die Schweiz damals, hochgradig unterreguliert, bis zum Exzess freiheitlich, ohne autoritäre Führung, aber subtil gelenkt durch unausgesprochene Traditionen und Gewohnheiten, die man verinnerlichen musste. Wer es nicht durchschaute, wurde vom Immunsystem der Zeitung elegant, aber mitleidlos beseitigt.

Was uns bleibend eingeschliffen wurde: Die NZZ ist die klügste Zeitung der Welt. Sie schreibt am besten und sieht die Dinge am klarsten. Sie ist die hochpräzise Kompass­nadel des vernünftigen Denkens, ein unverzichtbares Navigationsinstrument für alle, die wissen wollen, was wirklich zählt und wirklich richtig und wichtig ist. Ihr Massstab war die «liberale, freisinnige Weltanschauung», wie es in unseren Arbeitsverträgen hiess. Dass diese Haltung gar nicht näher definiert werden musste, lag auch daran, dass alle wussten, was gemeint war. Legendäre NZZ-Chefredaktoren wie Willy Bretscher oder der vor allem international ausgerichtete frühere Deutschland-Korrespondent und Adenauer-Vertraute Fred Luchsinger hatten es immer und immer wieder vorgeschrieben. Die NZZ orientierte sich am Erfolgsmodell des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats Schweiz, für den Weltoffenheit und Unabhängigkeit, sich wechselseitig befruchtend, zusammengehören.

Dieser Tage wurde NZZ-Chef­redaktor Markus Spillmann entlassen. Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung. Das neue Management unter dem Österreicher Veit Dengler arbeitet mit Volldampf am Umbau der NZZ in ein digitales Medienunternehmen. Laufend werden irgendwelche neue Leute verpflichtet, die an neuen Kanälen, Plattformen und Verpackungen tüfteln. Das einstige Bollwerk einer souveränen, in sich ­ruhenden Weltbetrachtung soll zur flexiblen Kriegsführung an immer noch mehr Fronten aufgerüstet werden. Ob’s gelingt? Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass sich die NZZ aus Angst vor inhaltlichen Debatten in die ­sterile Betriebsamkeit der Branche flüchtet. Anstatt sich über das Getümmel zu erheben, stürzt sie sich rein – und läuft Gefahr, genau das zu verlieren, was ihre Einzigartigkeit ausmacht.

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Die NZZ benötigt keinen Überbau an ­Managementrichtlinien und redaktionellen Absichtserklärungen. Sie braucht vor allem ­einen hervorragenden Chefredaktor, der durch seine Intelligenz und seine Urteilskraft überzeugt. Man kann diese Redaktion nicht autoritär von oben führen, man muss sich die Autorität durch brillante eigene Artikel erwerben. Das ist das Schöne an diesem Blatt: Am Ende entscheidet immer noch, was drinsteht. Die Rezepte sind bewährt und altbekannt: Der Chefredaktor muss die richtigen Leute in die richtige Position bringen und selber in zentralen Fragen ­Anstösse und Impulse geben. Zum Beispiel: Was ist die Schweiz? Wie stehen wir zur EU? Was ist das Verhältnis zwischen Bürger und Staat? Was heisst direkte Demokratie? Die konkrete parteipolitische Aufgabe des neuen NZZ-Chef­redaktors besteht vor allem darin, das bürgerliche Lager zu versöhnen, die neurotischen Grabenkämpfe zu entschärfen, SVP und FDP auf eine einigermassen gemeinsame Linie gegen die Linken zu bringen. Gerade an diesem Punkt war die NZZ zu verkrampft und unfrei unterwegs. Ex-Chef Spillmann verlor die Contenance, wenn man ihn auf die SVP ansprach.

Der künftige Chefredaktor wird es nicht einfach haben. Die weltanschauliche Verwirrung wurzelt tief. Durchs Aktiona­riat verläuft der innerbürgerliche Riss zwischen FDP und SVP. Im Verwaltungsrat dürfte kaum Konsens über die politische Ausrichtung der Zeitung herrschen. Was würde passieren, wenn ein neuer Chefredaktor einen ­Freisinn eher blocherscher Prägung predigte – damit übrigens auf einem Kurs wie die NZZ-Legende Willy Bretscher? Undenkbar. Würde man dem neuen Chef eine EU-kritische Linie erlauben, die auch Kritik am aktuellen Kult der «Bilateralen» umfasste? Kaum.

Handkehrum: Eine NZZ, die taktisch manövriert und nur an ihr Image denkt, ist keine NZZ, die gebraucht wird. Von dieser Zeitung erwartet man, dass sie die zentralen Debatten des Landes nicht einfach räsonierend begleitet, sondern die Richtung mit klarem Durchblick vorgibt. Gefragt ist ­ eine gesunde Prise Arroganz, die durch Qualität beeindruckt.

Die NZZ hat sich von der politischen Identitätskrise der sie tragenden Milieus erfassen lassen. Der neue Chef müsste dem faszinierenden Blatt wieder den Mut zur eigenen freisinnigen Position einimpfen.

Roger Köppel