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dpa - Christoph Driessen

Plötzlich sind Männer nett zu Alice Schwarzer – Was ist bloß los?

Plötzlich sind Männer nett zu Alice Schwarzer – Was ist bloß los? Alice Schwarzer wird 80.

Kurz vor ihrem 80. Geburtstag bekommt die Journalistin von vielen Männern, die sie früher garantiert nicht mochten, nette Dinge gesagt. Sie hat ihre eigene Theorie dazu, wie das sein kann.

Köln (dpa) − Alice Schwarzer hat eine ganz besondere Art zu lachen. Es werden dann schlagartig alle Lachfalten in ihrem Gesicht aktiviert, ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen − und dann lacht sie los. Es ist ziemlich ansteckend. Man meint dann auch, in ihrem Gesicht die junge Alice Schwarzer aufscheinen zu sehen. 

 

Deutschlands bekannteste und einflussreichste Frauenrechtlerin wird am Samstag (3. Dezember) 80 Jahre alt. Eine erschreckend hohe Zahl, wie sie meint. „Hoch befremdlich, komisch.“ Von Jean-Paul Sartre (1905-1980), dem existentialistischen Philosophen, den sie einst in Paris interviewt hat, stammt der Satz: „Älter ist man immer nur für die anderen.“ Er meinte damit, dass man selbst innerlich nicht das Gefühl hat, sich groß zu verändern.

 

Schwarzer kann das für sich nachvollziehen. „Ich bin natürlich nicht der Typ Frau, der sein Alter verbergen will“, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur. „Aber ich habe mich als junge Frau nicht in die Schublade „junge Frau“ pressen lassen, und ich lasse mich jetzt als ältere Frau auch nicht in die Schublade „alte Frau“ stecken.“

 

Das Alter bringt für sie eine neue Erfahrung mit sich: Männer, von denen sie sicher ist, dass sie sie früher abgelehnt haben, kommen jetzt zu ihr und sagen ihr nette Sachen. So in der Art von: „Ja, Frau Schwarzer, Sie waren ja immer sehr mutig und haben sich für die Menschen eingesetzt.“ Sie hat eine Theorie dazu, warum das so ist: Einmal sei Nostalgie und Sentimentalität mit im Spiel, im Rückblick erscheine eben vieles im Weichzeichner. Der zweite Grund seien manche heutige Feministinnen. Die seien ja doch arg streng mit den sogenannten alten weißen Männern. Da hat sie manchmal regelrecht Mitleid.

 

Alice Schwarzer war immer umstritten, wie sie selbst in ihrer jetzt aktualisierten Autobiografie „Mein Leben“ beschreibt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zurzeit bekommt sie vor allem aus zwei Ecken Gegenwind: Die einen kritisieren ihre Haltung zu Geschlechtsanpassungen. Hier vertritt sie die Meinung, dass „echten, also untherapierbaren Transsexuellen“ unbedingt Verständnis und Solidarität zustünden, der Wunsch Zehntausender Mädchen in der Pubertät nach einem biologischen Geschlechtswechsel jedoch in den seltensten Fällen auf echte Transsexualität zurückgehe. Vielmehr gehe es hier um einen „sehr verständlichen Trouble mit der Geschlechterrolle“. Das zweite Feld, auf dem ihr der Wind ins Gesicht bläst, ist die Ukraine. Hier fordert sie ein Ende der Waffenlieferungen und sofortige Verhandlungen. Während manche Medien sie dafür als Putin-Versteherin kritisieren, erfährt sie auf der Straße − nach eigenem Bekunden − Zustimmung.

 

Es gibt wohl kaum einen Menschen in Deutschland, der so shitstormerfahren ist wie Alice Schwarzer. Sie durchstand Shitstorms schon, als es das Wort noch gar nicht gab. Ein Schwall von Schmähungen ergoss sich zum Beispiel über sie, nachdem sie sich 1975 im Fernsehen ein Streitgespräch mit der Autorin Esther Vilar geliefert hatte. Diese vertrat in ihrem Bestseller „Der dressierte Mann“ die These, dass nicht die Frauen unterdrückt würden, sondern die Männer. Dafür ging Schwarzer nicht gerade zimperlich mit ihr um: „Sie sind nicht nur Sexistin, Sie sind auch Faschistin“, hielt sie ihr vor. Nach der Ausstrahlung schrieb „Bild“: „Alice mit hohen Stiefeln, schwarzem Rock und unter dem Pony den stechenden Blick durch die große Brille. So hat früher im Märchen wie die böse Hexe ausgesehen.“

 

Das Streitgespräch wurde jetzt für den ARD-Zweiteiler „Alice“ nochmal originalgetreu nachgespielt. Es war eine spezielle Erfahrung für Schwarzer, sich quasi selbst wieder als junge Frau zu sehen. Sie wird von der 31 Jahre alten Schauspielerin Nina Gummich („Charité“) aus Leipzig verkörpert.

 

Bei der Auswahl der Hauptdarstellerin hatte sie ein Mitspracherecht. „Es gab beim Casting durchaus andere Frauen, die mir rein äußerlich ähnlicher waren“, erzählt sie. „Aber bei Nina habe ich von Anfang an gespürt: Sie hat das Feuer. Von innen her. Der Blick, die Körperhaltung. Sie kann auch eine gewisse Schärfe haben. Und vor allem hat sie Humor! Da hab ich gedacht: Das ist die Richtige.“

 

Der männliche Hauptdarsteller ist der französische Schauspieler Thomas Guené, der ihren langjährigen Lebensgefährten Bruno verkörpert. „Er ist ganz anrührend“, sagt sie. „Der echte Bruno war rein äußerlich etwas männlicher.“ Aber Guené habe Charme und mache seine Sache sehr gut. „Es ist schade, dass Bruno es nicht mehr sehen kann, er ist vor vier Jahren gestorben.“ Seit 2018 ist Schwarzer mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin, der Fotografin Bettina Flitner, verheiratet, aber das kommt in dem Film nicht mehr vor − die Handlung endet 1977 mit der Gründung von „Emma“.

 

Insgesamt ist Schwarzer mit dem Ergebnis sehr zufrieden. „Ich habe natürlich sehr gezögert, zuzusagen, und bangen Herzens das Resultat erwartet.“ Jetzt sei sie erleichtert, dass alles so gut geworden sei. „Zwei Dinge waren mir wichtig: „Einmal, dass ich im Kern erfasst werde. Und dass man einen Eindruck vom damaligen Zeitgeist bekommt.“

 

Heutigen Generationen seien die 60er- und 70er-Jahre schon völlig fremd. Sie wüssten nicht mehr, was Frauen damals alles durchlitten hätten, etwa wenn sie abtreiben wollten. Sie wüssten aber auf der anderen Seite auch nicht mehr, wie frei Frauen damals gewesen seien: „Das waren Jahre des Aufbruchs, des Übermuts! Wir haben ja nicht nur gekämpft, wir haben auch gefeiert und getanzt. Und: Wir hatten wenig Zwänge. Wir hatten kein Instagram und haben kein Botox gespritzt. Das ist oft schwer zu vermitteln.“

 

Sie sei zum Beispiel oft gefragt worden, ob sie nicht Angst gehabt habe, sich durch ihr Engagement als Feministin ihre Karriere zu ruinieren. „Aber das Wort „Karriere“ gab es gar nicht. Man hat nicht gesagt: „Ich will Karriere machen.“ Sondern: „Ich will die Welt verändern!“ Wir hatten viel größere Ansprüche. Und ich hoffe, dass davon etwas rüberschwappt.“

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