Journalistenpreise
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Nach Tagen voller Diskussionen um die fragwürdige Rolle des Zeit-Chefredakteurs bei der unsäglichen Rückkehr des ehemaligen Verteidigungsministers zu Guttenberg in die deutsche Öffentlichkeit, gibt es am Speersort in Hamburg endlich wieder etwas zu feiern. Und wie!

Berlin - Beim Deutschen Reporterpreis, dem Journalistenpreis von Reportern für Reporter, sind Zeit-Journalisten gleich in vier von acht Kategorien ausgezeichnet worden. Die besten deutschsprachigen Reporter kommen von Holtzbrinck. Den Preis für die beste Reportage hat Wolfgang Uchatius mit der Reportage "Die Riester-Bombe" gewonnen - der Siegerbeitrag erschien natürlich in der Zeit. Das beste Essay stammt aus der Feder des Schweizer Journalisten Eugen Sorg.

Das Kreuzberger Umspannwerk bot den passenden Rahmen für die festliche Veranstaltung, bei der sich die deutsche Reporter-Elite (hauptsächlich aus Berlin und Hamburg) feiern konnte; junge Journalisten bekamen leicht den Zugang zu Kollegen, die sie sonst aus dem Fernsehen kennen. So tauschte ZDF-Anchorman Claus Kleber sein Mainzer Fernsehstudio gegen die Bühne des Reporterpreises ein, um als Laudator den besten politischen Reporter auszuzeichnen.

 

Reporterpreis 2011
Die glücklichen Gewinner des Deutschen Reporterpreises 2011: Marian Blasberg, Wolfgang Uchatius, Nadine Ahr, Eugen Sorg, Ulrike Demmer, Ariane Bemmer, Konstantin Richter, Uwe H. Martin und Jonathan Stock. Foto: Reporter-Forum e.V.

 

Weitere Kollegen, die den Vor-Nikolaus-Abend bei der kurzweiligen Preisverleihung in Berlin verbrachten, waren u.a. Christoph Amend (Zeit-Magazin), Jörg Thadeusz (RBB), Michael Ebert (Neon), Ismene Poulakos (Kölner Stadt-Anzeiger), Alexa Hennig von Lange (Buchautorin, "Leute, mein Herz glüht"), Axel Hacke (Kolumnist SZ Magazin), Dirk Kurbjuweit (Der Spiegel), Oliver Schröm (Der Stern, neuer Chef Netzwerk Recherche), Evelyn Roll (Süddeutsche Zeitung), Annette Milz (Medium Magazin), Alexander Osang (Der Spiegel), Timm Klotzek (SZ Magazin) und Andreas Wolfers (Henri-Nannen-Schule).

Wolfgang Uchatius hat den Preis für die beste Reportage 2011 gewonnen – mit seinem Text „Die Riester-Bombe“, erschienen im Dossier der „Zeit“. Es ist ein Erklärstück, das mit einem alltäglichen Vorgang beginnt – dem Abschluss einer fondsbasierten Riester-Rente – und mit der Erkenntnis endet, dass dieser Fonds auch in Firmen investiert, die völkerrechtlich geächtete Streubomben herstellen. Die Recherche beginnt bei deutschen Vermögensverwaltern und führt über die Waffenmesse in Abu Dhabi, auf der die schrecklichen Instrumente der Kriegsführung eloquent feilgeboten werden, zu einem Palästinenser, der durch eine Streubombe sein Bein verlor: Eine glänzend recherchierte, unaufgeregt geschriebene Reportage, die üblicherweise verborgene Finanzströme offenlegt.

Eugen Sorg diskutiert in seinem Essay "Die Lust am Bösen" für "Das Magazin" des Schweizer „Tagesanzeiger“ die Frage, warum Menschen andere Menschen töten, wie das Böse in die Welt kommt. Sorg gibt sich jedoch nicht mit der naheliegenden Antwort zufrieden, es gebe stets gesellschaftliche Umstände hinter Morden, sondern plädiert dafür, das Böse als schlichtweg böse zu verstehen, nicht als unausweichliche Reaktion auf soziale Missstände. Die Jury würdigt den überraschenden Blick des Autors auf die Welt, seine klare Argumentation und die sprachliche Kraft dieses Essays. Sorg, der inzwischen Textchef bei der Basler Zeitung ist, rang noch nach der Preisverleihung um die richtigen Worte. "Die Hälfte der Magazin-Redaktion war damals gegen die Veröffentlichung meines Beitrages", erinnerte sich Sorg im Gespräch mit Newsroom.de. "Ich freue mich riesig über diesen Preis, weil es ein Essay auszeichnet, das polarisiert", so Sorg, der sich gegen journalistische Schwergewichte wie Frank Schirrmacher von der FAZ, der mit gleich zwei Texten in die Endauswahl gelangt war, durchsetzen konnte.

Den Preis für die beste Lokalreportage erhält Ariane Bemmer vom Berliner „Tagesspiegel“, auch ein Holtzbrinck-Blatt. „Flüstern oder Schreien“ heißt ihr Text über das Jugendamt in Berlin-Spandau, in dem sie, erzählerisch gekonnt, den Alltag einer überforderten Behörde beschreibt. Eindrucksvoll schildert sie die Trostlosigkeit des bürokratischen Apparates, dem in manchen Hochhäusern am Rand von Berlin jede Familie bekannt ist – und begegnet Mitarbeitern dieser Behörde, die sich in einem fort gegen das Elend stemmen, zugleich voller Sympathie.

Auch Ulrike Demmer hat sich in den Dschungel der Bürokratie begeben: In ihrer Reportage „Die Ritter der Drachenburg“, im „Spiegel“ erschienen, beschreibt sie die kafkaesken Vorgänge im deutschen Verteidigungsministerium, in der es Jahre dauert, einen Bagger zu bestellen, und Monate, dringend in Afghanistan benötigte Fahrzeuge bereit zu stellen. Einzeln betrachtet mögen die unzähligen Dienstvorschriften sinnvoll sein, schreibt Ulrike Demmer, „zusammengenommen legen sie das Ministerium lahm“.

Der Preis für den besten freien Reporter wird aufgeteilt und geht erstmals an zwei Journalisten: An Nadine Ahr und Jonathan Stock. Nadine Ahr hat in der „Zeit“ unter dem Titel "Das Versprechen" die unendlich anrührende Liebesgeschichte ihrer Großeltern erzählt, die erst jahrzehntelang nicht zueinander finden, sich dann schwören, nie mehr auseinanderzugehen, und dann von der Demenzerkrankung der Großmutter brutal entzweit werden. Jonathan Stock beschrieb in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ in "Peters Traum" einen deutschen Dschihadisten beschrieben, einen vom Verfassungsschutz beobachteten „Gefährder“. Eineinhalb Jahre lang dauerte die Recherche, während der Stock selbst zum Islam konvertierte. "Anders hätte ich dort niemals recherchieren können", sagte Stock im Gespräch mit Newsroom.de. Der 28-jährige Stock, Absolvent der Henri-Nannen-Schule, hat mit dem Beitrag "Peters Traum" vor einigen Wochen erst den Otto-Brenner-Preis in der Kategorie Newcomer gewonnen.

In seinem Interview "Ein Rebell bin ich erst heute", erschienen im Zeit-Magazin, ist es Marian Blasberg gelungen, den Enkel Erich und Margot Honeckers in Chile zu treffen und in einem Gespräch zu porträtieren. Die Jury war beeindruckt von der spektakulären Entdeckung des Honecker-Enkels, der den Leser als unbekannte Figur der Zeitgeschichte noch lange nach der Lektüre beschäftigt. In dem Interview zeichnet Blasberg einen Teil der deutschen Vergangenheit nach. Der Leser lernt das Land aus einer Perspektive kennen, die bis dahin unentdeckt geblieben war.

Uwe H. Martin schildert mit seiner Web-Reportage "Texas Blues" in stillen, großen Bildern das harte Arbeitsleben texanischer Baumwollfarmer in Lubbock, Texas, der Baumwoll-Hauptstadt der Welt. Martin gelingt es, den staubigen Alltag der Farmer einzufangen, die sowohl unter dem wachsenden Einfluss des Saatgutkonzerns Monsanto, als auch den schwankenden Baumwollpreisen leiden. "Texas Blues" ist nach Ansicht der Jury eine kompakte Collage von O-Tönen, Fotos und Filmschnipseln, die die erzählerischen Möglichkeiten des Internets hervorragend nutzt.  Laudatorin Herlinde Koelbl warb darum, bei Web-Reportagen "mehr Mut" zu zeigen, anders zu sein.

Konstantin Richter hat für die "Zeit" über ein halbes Jahr hinweg den Überlebenskampf des Opernhauses Flensburg begleitet. Und auch wenn das Landestheater Schleswig-Holstein im Zentrum des Textes steht, geht es doch um viel mehr: Seine Reportage lässt den Leser tief in die Welt des subventionsgestützen deutschen Hochkulturbetriebes blicken. Richter recherchiert sorgfältig und ausgewogen, er schreibt unterhaltsam und wahrhaftig; auch deshalb zeichnet die Jury seinen Text "Der Kulturkampf" einstimmig als "Kulturreportage des Jahres" aus.

Der Reporter-Preis wurde zum inzwischen dritten Mal vergeben, er ist mit insgesamt 25.000 Euro dotiert. Förderer des Deutschen Reporterpreises und des Preisstifters, des Reporterforums, sind die Robert Bosch Stiftung, die Rudolf-Augstein-Stiftung, die Stiftung der Hamburger Presse und das Augustinum.

B.Ü.